Post by Oliver Schurek-NavarroOb ihr mehr auf eine realistisch geschminkte Wunde oder mehr auf die
Darstellung Wert legt,
Primär muß die Darstellung gut sein. Um die hoch perfekt geschminkten
Wunden tut's mir immer ein bisschen leid. Ausserdem fällt bei einer
"verkünstelten" RUD-Truppe leicht unter den Tisch, dass auch
internistische Krankheitsbilder gespielt werden können sollten.
Wunden gehören aber dazu und sollen natürlich auch einigermassen
realistisch aussehen. Der Kittbatzen als Kopfplatzwunde ist irgendwie
peinlich (vor allem, wenn er sich im Eifer des Gefechtes löst).
Es kommt aber dann vor allem auf die Darstellung an. Lieber ein
paar "kleine feine Verletzungen" mit wenig Schminkaufwand, dafür gut
gespielt.
Natürlich macht Schminken Spass und da darf man ruhig auch einen Teil
des Ehrgeizes reinstecken. Im Vordergund steht bei Übungen aber der
Lerneffekt für die Übenden und nicht die Selbstdarstellung des
RUD-Teams.
Post by Oliver Schurek-NavarroIn welcher Form ihr schon mal mit der RUD in Kontakt gekommen seit und
was Euch dabei besonders aufgefallen ist ( positiv als auch negative erfahrungen )
Kontakt: Hunderttausend Übungen. Sowohl als Übungsleiter, als auch als
Darsteller und Teilnehmer, hin und wieder als (wenig begabter)
Schminker.
Positive Erfahrung:
- wenn die RUD gut mit der Übungsleitung abgestimmt ist. Nix ist
schlimmer, als wenn der RUD-Leiter oder einzelne RUDler meinen, selbst
Einspielungen und "Special Effects" machen zu müssen, ohne das im
Kontext der Übung abgestimmt zu haben. Meine RUDler bekommen da immer
detaillierte Anweisungen zur Darstellung und gewünschten Verletzung,
seitdem klappt das. Übungen sind ein Mordsaufwand und sollten exakt
auf die übenden Einheiten abgestimmt sein. Eigene "spontane Ideen"
können den Übungserfolg und auch nahchaltig die Motivation gefährden.
- (junge) Erwachsene als Darsteller. Die (kleineren) Kinder vom JRK
haben zwar sicher ihren Spass, können aber leider meist nicht so
gut (und selbstbewusst) mit ihrer Darstellung umgehen. Abgesehen
davon, dass sich damit schlecht der Realfall darstellen lässt
(ausser es geht um den MANV eines Schulbusses oä.). Aber die
Kids haben nicht das Gewicht und die Handlingprobleme, die ein
Erwachsener verursacht. Jugendliche ab 16 sind da OK, gerne auch
ältere Personen.
- Ernstfallstichwort "Tatsache" und "Ernstfall" (gleichbedeutend,
ersteres aus der PDV800, letzteres, weil sich das die Darsteller
meist besser merken können). Das ist unglaublich wichtig, das
muss allen Übungsteilnehmern bekannt sein. Mit diesem Stichwort
hat die damit gekennzeichnete Meldung/Versorgung Priorität. Das
kam mir schon zu oft vor als das ich das auf die leichte Schulter
nehmen möchte.
- Ernstfallsanitätsdienst: aus obigem Grund. Ein Ernstfall schmeisst
einem sonst die ganze Übung, wenn sich plötzlich tatsächlich
jemand was tut - da hat dann nämlich eine (echte) Rißwunde
Priorität vor dem (falschen) Atemstillstand. Oder der Arzt und
eine RTW-Besatzung stehen plötzlich der Übung nicht mehr zur
Verfügung. Oder der Ernstfall muss mit Übungsmaterial versorgt
werden. BTST - da habe ich lieber einen KTW/RTW, der sich
ausschliesslich um sowas kümmert und den Ersntfall gleich aus der
Übung herauslöst. Bei größeren Übungen sowieso, aber das muss auch
bei kleinen Übungen zumindest gedanklich vorbereitet sein: wer kümmert
sich um Ernstfälle, wo steht der Notfallkoffer, der echtes Material
drin hat?
- Darstellersicherheit: die hat oberste Priorität und ist mit Aufgabe
der RUD-Leitung. Die muss Leute abstellen, die als RUD gekennzeichnet
sind und die gegenüber allen Teilnehmern Weisungsbefugt sind, sobald
eine Gefahr für die Darsteller besteht. Diese Leute sollten keine
Schiedsrichterfunktion haben, sondern wirklich 100% auf ihre
Darsteller achten können. Die Darsteller selbst haben auch das Recht
(Stichwort "Ernstfall"), aber ein "Bewusstloser" bekommt es nunmal
nicht mit, wenn direkt neben ihm eine Motorsäge angesetzt wird oä.
Auch einem Gesunden wird's schnell kalt, wenn er auf dem Boden
liegt. Auch ein Gesunder kann Angst bekommen (bis hin zu echten
psychotischen Reaktionen), wenn er "eingeklemmt" sitzt.
Diese Sicherheitsleute müssen eine Anzahl an Darstellern betreuen,
die sie auch übersehen können, also nicht zu viele. Auch sollten
dort welche eingeteilt sein, wo die Patienten hingebracht werden -
die Situation ist ja selten statisch, irgendwann werden die
Darsteller gerettet, zum Behandlungsplatz transportiet etc. Da
sollte überall eine verantworliche und weisungsbefugte Aufsicht
eingeteilt sein. Zusätzlich ist es deren Job, die Darsteller ggf.
zu bremsen oder zu korrigieren - genau deshalb sollte das (schon
im eigenen Interesse) ein RUD-Schminker sein. Die müssen sich aber
auch trauen, sich ggf. lautstark bemerkbar machen und über eine
direkte Verbindung zur Übungsleitung verfügen. Sie dürfen sich nicht
durch Dokumentationsaufgaben oä. von ihrem Hauptjob ablenken lassen.
Die Sicherheit der Teilnehmer geht immer vor!
- Versteckte Verletzungen: wenn erst mal die Kleidung aufgeschnitten
werden muss, um eine bedrohliche Blutung oä. zu erkennen, dann ist
das ein Highlight und echter Lerneffekt. Dazu braucht man aber
a) Altkleidung, die zerschnitten werden darf (möglichst bei _allen_
Opfern)
b) warmes Wetter, damit die Darsteller nicht so frieren, wenn sie
mit zerschnittener Hose doch noch etwas warten müssen. Natürlich
sollte man das auch im Ernstfall beachten, dass ein Patient nicht
halbnackt draussen rumliegt - dennoch passiert es hin und wieder,
einem Darsteller sollte man das nicht zumuten, wenn es kalt ist.
c) Reservebekleidung am Übungsort, damit die Darsteller nicht mit
zerschnittenen Klamotten bzw. entkleidet zur Brotzeit müssen.
Negative Erfahrungen:
- Übertreibungen. Der ewige "Panik-Patient" und/oder "Angehörige"
nervt, genauso wie eine Unfallstelle voller schreiender Opfer
(oder sogar "randalierende" Opfer voller Panik in einem Bus oä.).
Das habe ich im Realfall noch nie gesehen, meist ist es eher
gespenstisch still. Die Darsteller steigern sich da meist dann rein,
wenn einer anfängt. Das ärgert mich jedesmal, wenn ich sowas in der
Übung sehe und einen grinsenden RUD-Leiter, der meint, damit "so voll
richtig krass realistisch und schwer" rüberzukommen. Das ist kein
Lerneffekt für die Übenden.
- Dargestellte Hyperventilationen. Nach mehreren ernsthaften Vorfällen
verbiete ich das mittlerweile meinen RUDlern explizit: der Darsteller,
der eine Hyperventilation darstellt (meist Mädchen) kommt bald
ernsthaft in das Syndrom! Und das dann von der Übungslage zu
unterscheiden, ist ein echtes Problem. Und von der Situation
"beeindruckte" (junge) Darsteller(innen) steigern sich eh' leicht in
eine echte Hyperventilation hinein. Deshalb gilt bei mir mittlerweile:
eine Hyperventilation wird umgehend als Ernstfall behandelt!
- Spontane eigene Ideen von Darstellern, gerade bei Kindern häufig zu
beobachten. Dann will jeder plötzlich Bewusstlos spielen - und die
übende SEG kann die Lage nicht mehr bewältigen. Das ist nicht Sinn
der Übung und schmeisst die ganzen Überlegungen und Vorbereitungen
des Übungsleiters über den Haufen. Von der Motivation der Übenden mal
ganz abgesehen. Mir ist das mal bei einer riesigen Übung passiert,
da steckte viel Arbeit drin - und der Übungserfolg wurde verpasst,
weil die Feuerwehrjugend (dh. Kinder im Alter von 10 Jahren, IMHO
waren das hauptsächlich die Kinder von Feuerwehrlern) unbedingt
mit üben wollte (lt. Kommandant). Ich hatte mich breit schlagen lassen
und denen halt einfache Sachen gegeben (im Wesentlichen nur leichte
Riss-/Schürfwunden). Das war denen zu langweilig und sie wurden alle
bewusstlos. Wachten dann natürlich wieder auf, weil sie sich ja auch
die Übung ansehen wollten. Und dann wieder bewusstlos, oder wild
schreiend, oder was auch immer. Die hatten einen Mordsspaß. Leider
hat die RUD-Leitung dort keinen suffizienten Aufpasser eingesetzt.
Und die Übung war mehr oder weniger geschmissen - ein halbes Jahr
Vorbereitung, eine gesperrte S-Bahn-Strecke etc. zu 50% für die Katz.
:(
Die anderen 50% waren der Abschnitt, in dem die Erwachsenen-Darsteller
(zT. RS und RA eines Nachbar-Kreisverbandes) "professionell" Opfer
mimten - das war eine Freude! [1]
- zu große Übungen. Das ist hin und wieder ganz nett, aber für den
eigentlichen Zweck sind Übungen mit *zig oder *hundert Darstellern
meist viel zu aufgeblasen. Die meisten Einsatzfehler sind
Führungsfehler, da sollte man mehr Wert auf Planspiele für Führungs-
kräfte legen - das geht auch relativ billig (der Vorbereitungsaufwand
ist dennoch nicht zu unterschätzen). Die "Real-Übungen" kann man auf
Einheitenebene beschränken und da reichen 10 - 30 Verletzte in der
Regel völlig aus. Auch mit 5 Verletzten kann man einen guten
Übungseffekt für eine SEG erreichen.
Gerade die medizinische Versorgung ist bei Übungen in Einheitenstärke
eigentlich zweitrangig. Da steht die Ablauforganisation im
Vordergrund. Das Medizinwissen erhalten die Leute besser und
lehrreicher in Kleinübungen mit Fallbeispielen.
Und noch viele kleine Sachen, die mir so einfallen. Das oben sind mir
spontan aber die wichtigsten.
Servus,
Bernhard
[1] Bis auf den Kollegen, der ein SHT spielte. Selbstverständlich
inkl. Pupillendifferenz, die einige der Übenden sehr verblüfft
hat. Nur war er aufgrund der dazu verwendeten Atropin-Tropfen
eine Woche lang dienstunfähig, die Pupillenndifferenz ging nicht
so schnell weg, wie sich das der Schminker (selbst Arzt) gedacht
hatte... :)
--
Bernhard Nowotny
85625 Glonn, Germany (PGP ID: 0x17B6F58C DSS/DH)
"Life was simple before World War II. After that, we had systems."
-- Rear Admiral Grace Murray Hopper