Post by Thomas Kienzlehttp://www.sueddeutsche.de/,ra10m4/muenchen/artikel/798/104694/
Jaha, der Artikel war gestern bei uns Thema nach der Fortbildung...
...ohne zu wissen, wie's wirklich ablief, hier mal meine
Interpretation:
| Die 34-Jährige wählte die Notrufnummer, erbrach doch ihr Sohn bereits
| Blut ins Waschbecken. Claudia M. forderte in der Rettungsleitstelle
| einen Notarzt an.
Den sie aufgrund des für Bayern gültigen NA-Indikationskatalogs, der
für die Rettungsleitstellen verbindlich ist, nicht bekommen wird,
da es weder um eine "Bewusstseinsstörung", "Atemstörung",
"Kreislaufstörung", "Starke Schmerzen" oder eine "Akute Lähmung"
handelt. Auch in den Notfallbeschreibungen kommt der Fall "Blut-
erbrechen" nicht vor. Je nach Fallschilderung ist die Frage, ob dem
Disponenten eine Kreislaufstörung erkennbar hätte sein müssen.
Das kann man bei "Läuft zur Mutter" und "erbricht Blut ins Wasch-
becken" (also stehend) eher verneinen, solche Komplikationen kommen
nach Mandel-OPs nunmal vor (hatte ich auch als ca. 8-jähriger Bub).
Bei massivem nicht mehr stillbarem Bluterbrechen kann man natürlich
eine zukünftige Kreislaufinsuffizienz nicht ausschließen, zumal bei
einem Kind, aber es ist eben die Frage, wie sich das zum Zeitpunkt
des Anrufes dargestellt hat. Es gibt Tonbanddokumentation.
| Doch nach gut zehn Minuten trafen an Stelle eines Arztes zwei
| ehrenamtliche Helfer, sogenannte First Responder, bei der Familie ein.
| Es begann ein Wettlauf mit der Zeit.
Autsch. Nicht "an Stelle eines Arztes" sondern natürlich "zur
Überbrückung des therapiefreien Intervalls während großzügig
festgelegter gesetzlicher Hilfsfristen als freiwillige und
vom hilfeerhaltenden Bürger sowie staatlicherseits nicht
bezahlter Zusatzleistung der örtlichen Hilfsorganisation".
Normal kommt da sonst niemand. Und zehn Minuten sind sehr gut,
wobei auch da die Frage ist, ob das nicht doch ein klein wenig
schneller war, üblicherweise sind die First Responder/Helfer
vor Ort ja eben aus ihrem Selbstverständnis heraus genau dazu da,
schneller zu sein, als die gesetzlich vorgegebenen 12-15 Minuten
des öffentlich-rechtlich gestellten und bezahlten Rettungsdienstes.
Dazu hilft natürlich eine genaue Ortsbeschreibung, auffindbare
Hausnummern, offene Türen etc. Hier liegen immer wieder gerne
Verzögerungen versteckt, weil die Leute uns gar nicht so schnell
erwartet haben ("Ach, sind Sie schon da?").
Der "Wettlauf mit der Zeit" beginnt natürlich mit Eintreten des
Notfalls, dazu siehe oben.
| ,,Auf meine Frau und meine Tochter machten diese beiden Ersthelfer
| einen sehr hilflosen Eindruck‘‘, sagt Helmut Grünert, der Großvater
| des Buben. Dafür könne man ihnen aber keinen Vorwurf machen.
| ,,Angesichts der Komplikationen waren die ehrenamtlichen Helfer
| überfordert‘‘, ist sich Grünert sicher.
1. "Ehrenamt" ist keine Entschuldigung. Klar kann es sein, dass diese
speziellen Helfer Nieten waren. Das ist dann aber auch nicht
entschuldbar.
2. "Hilflos"? Naja, was macht man beim Bluterbrechen? Für Ruhe
sorgen, Vitalparameter kontrollieren, Rückmeldung geben,
das Eintreffen des RD abwarten, wenn die Kreislaufsituation
es erfordert ggf. Zugang vorbereiten/legen. Das letztere ist
ggf. das einzige Stück "Medizin", was ein beteiligter
Angehöriger als solches erkennt, das aber wiederum nicht immer
notwendig ist. Man kann noch versuchen, mit kühlen Nackenumschlägen
was zu bewirken, aber das ist bei Bluterbrechen nicht wirklich
hilfreich. Also steht man rum und wartet auf das, was notwendig
ist: der Transport in die Klinik. Während des Rumstehens sollte
man natürlich nicht "hilflos" wirken, vielleicht ist das den
FR-Kollegen aber irgendwie anzusehen gewesen, dass sie nun auch
nur noch warten können.
| selbst technischer Leiter einer Privatklinik in Herrsching. Als er
| den Ärzten dieser Klinik schildert, was seinem Enkel widerfahren
| ist, sind diese betroffen.
Klar, "Kind", "Blut", "langsam", "keine Hilfe", "Not-OP" sind ja
prächtige Triggerwörter. Kann man ja auch gut "schildern".
| Bald nach den Ersthelfern trafen nach Grünerts Angaben zwar
| ausgebildete Rettungsassistenten des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK)
| ein, aber wiederum nicht der angeforderte Notarzt.
Tja, hätte man das letztemal für eine Regierung stimmen sollen,
der das Rettungswesen nicht gar so egal ist.
| Julius’ Lippen färbten sich langsam elfenbeinfarben.
Whow. Das kann man sehen, wenn einer Blut erbricht?
Ja, schon, wenn man dabei die Lippen zusammenpresst. Normal werden
die aber erstmal langsam bläulich, wenn es gefährlich wird.
| Die Rettungsassistenten reagierten ruhig, dem Großvater viel zu ruhig:
Ah, klar, im Fernsehen geht das immer hektischer.
| ,,Der Transport ins Krankenhaus erfolgte ohne Sondersignal, ohne
| Blaulicht.
Blaulicht macht das Auto auch nicht schneller. Wenn kein Stau o.ä.
den Transport unnötig verzögert, dann ist Sondersignal nur dazu
geeignet, den Patienten zu beunruhigen (und damit die Blutung letzt-
endlich zu verschlimmern!). Ausserdem ist das Unfallrisiko bei Fahrt
mit Sondersignal ca. 8-fach höher als ohne.
| Julius wurde im Sanitätsfahrzeug sitzend transportiert und spuckte
| immer wieder Blut in eine Nierenschale‘‘, notiert Grünert in einem
| Protokoll der Ereignisse vom 1. Februar 2007.
Hört sich dramatisch an, aber was soll er sonst machen? Das Blut
im Liegen runterschlucken, damit's nicht so unschön aussieht?
Ne, bei passenden Kreislaufverhältnissen (und solange er sitzen
und eine Nierenschale halten kann, war das so) wird sitzend
transportiert, das Blut weiter ausgespuckt und ohne Verzug durch
weitere unnötige Maßnahmen (rumpopelei in Kindervenen, Nach-
holen eines Notarztes, der ja auch nicht mehr machen kann) in
eine geeignete Klinik transportiert. Absolut korrekt.
| Dem Buben sei noch nicht einmal ein Zugang für eine Infusion gelegt
| worden.
Was die vordringliche Zuführung zu einer weiterversorgenden Einrichtung
nur weiter verzögert hätte. Und ob es notwendig gewesen wäre, ist
die zweite Frage. Ein Notfallprotokoll mit Angaben zu den
Kreislaufverhältnissen wird existieren.
| Im Klinikum Starnberg angekommen, sei der Albtraum weitergegangen:
| ,,Wir standen eine Zeitlang herum, und es war offensichtlich nicht
| klar, wer sich um das Kind kümmern soll.‘‘
Willkommen im deutschen Klinikalltag. You get, what you pay for.
| Julius habe Anzeichen einer Kreislaufschwäche gezeigt.
"Anzeichen einer Kreislaufschwäche"? Ist ihm nun aufgrund des
ganzen Blutes mal ein bisschen schwummrig geworden? Naja,
Puls und Blutdruck werden wir hier nicht erfahren.
| Der Bitte der Mutter, ihr Kind in die stabile Seitenlage zu bringen,
| damit das Blut aus dem Mund besser ablaufen könne, habe die Ärztin
| nicht nachkommen können. ,,Sie wusste nicht, wie man das Kopfteil der
| Liege flach stellt‘‘, heißt es im Protokoll.
Oberkörperhochlagerung und Blut ausspucken ist nach wie vor geeignet.
Die stabile Seitenlage (bzw. dann auch gerne noch mehr Medizin-
zaubereien) wäre notwendig gewesen, wenn der Junge Bewusstlos
gewesen wäre. Das war er aber offensichtlich nicht.
Auch hier werden wir die wahren Kreislaufverhältnisse des Jungen
nicht erfahren. Die der Mutter vermute ich bei "kurz vor oder
mitten in der Hyterie".
Aber die Rettung naht:
| Eine Krankenschwester erkannte den Ernst der Situation: ,,Der
| kollabiert uns, der muss in den OP.‘‘
Tja. Klar. Sollte auch die Maßnahme der Wahl sein, wenn so eine
Komplikation nach Mandel-OP auftritt. Also hat diese Kranken-
schwester
[ ] in vorlauter Art und Weise nur das Selbstverständliche
ausgesprochen, das eh' die normale Prozedur gewesen wäre
[ ] die (unerfahrene?) Ärzteschaft auf die normale Prozedur
hingewiesen - dafür gibt's ja Assistenzpersonal zum Mitdenken.
| Kurze Zeit später sei im OP-Bereich Hektik ausgebrochen. Ein Arzt sei
| herausgestürmt und habe die Mutter angeschrien: ,,Sie hätten nach zehn
| Minuten hier sein müssen, es besteht Lebensgefahr!‘‘
Habe ich nicht kürzlich was von unerfahrener Ärzteschaft,
hysterischer Mutter o.ä. geschrieben? Naja, was da wirklich
passiert ist ("Hektik", "herausgestürmt", "angeschrien",
"Lebensgefahr"), wissen wir nicht.
| Gegen 13 Uhr erfuhr Claudia M., dass die Blutungen gestoppt worden
| seien, das Blut sei aus Magen und Lunge abgesaugt.
Naja, das ist ja auch gut so.
| Julius habe sehr viel Blut verloren, es bestehe weiterhin
| Lebensgefahr.
Klar. Irgendwann geht der Saft aus.
| Julius wurde nach München in die Haunersche Kinderklinik gebracht -
| nun doch mit Blaulicht.
Starnberg -> München Innenstadt, Nachmittag: viele Ampeln, Stauzeit.
Siehe Indikation für Sondersignal oben.
| ,,Dass er überlebt hat, ist letztlich dem jungen Operateur in
| Starnberg zu verdanken‘‘, sagt sein Großvater heute.
Deshalb bringt der Rettungsdienst Patienten ja auch in eine Klinik.
Weil dort die abschließende Versorgung gewährleistet werden kann.
Der Rettungsdienst ist deshalb nicht sinnlos, denn ohne würden
die Patienten die Klinik ggf. nicht lebend oder eben adäquat
vorversorgt erreichen. Mit dem Notruf setzt man eine Kette in
Gang, in der der Rettungsdienst ein wichtiges Glied ist, die
abschließende Hilfe und letztendliche Versorgung erfährt der
Patient aber natürlich in der Klinik als letztem Glied der
Rettungskette.
| Warum schickte die Rettungsleitstelle trotz der Schilderung der
| Symptome keinen Notarzt?
Weil die geschilderten Symptome nach
a) gesundem Menschenverstand und
b) Dienstvorschrift
keinen Notarzt erfordern. Was hätte der auch tun sollen? Vor
Ort operieren?
Eine Sengstaken-Sonde hat nicht jedes NEF dabei (guckstu DIN), ob
die noch dazu indiziert bzw. in diesem Fall anwendbar gewesen wäre,
ist ebenfalls fraglich.
| Warum haben die Rettungskräfte nicht die Gefährlichkeit der Situation
| erkannt?
Weil die Situation nicht gefährlich war? Hey, Bluterbrechen sieht
zwar reichlich dramatisch aus, ist es aber nicht unbedingt.
Die wichtigen Parameter sind Blutdruck und Puls, die kann man
objektiv messen und deren Verlauf beurteilen. Das steht dann auch
im Notfallprotokoll.
Der Junge kam adäquat transportiert (ohne Hektik, kann selbst das
Blut abspucken) in der Klinik an.
| Warum verging im Krankenhaus so viel wertvolle Zeit, bis sich
| endlich ein Arzt um das Kind bemühte?
Weil das deutsche Gesundheitswesen keine Emergency Rooms mit
ausreichender Arztbesetzung finanzieren will? Weil auch da die
Kreislaufparameter noch nicht kritisch waren?
Was sich natürlich ändern kann.
| ,,Der Transport wurde nicht mit Blaulicht durchgeführt, weil dies
| eine schonende Transportform ist und weil zum zweiten keine dies
| rechtfertigende Indikation vorgelegen hat‘‘, heißt es in einem
| Brief an Grünert.
Ich hoffe, der Brief erklärt das ein wenig ausführlicher. Man
kann mit seltsamen Antwortbriefen natürlich gleich einen ganz
anderen Eidnruck machen. Oder auch mit sinnentstellenden,
auslassenden bzw. verkürzten Zitaten daraus in der Zeitung...
| Der Ärztliche Direktor des Klinikums Starnberg, Peter Trenkwalder,
| kommt jedoch zu einem ganz anderen Befund: ,,Wir haben natürlich
| großes Verständnis für die Aufregung der Verwandten des Jungen, die
| diese lebensbedrohliche Nachblutung miterleben mussten.‘‘
Moment "ganz anderer Befund"??? Verständnis habe ich auch, weil
Angehörige bei sowas gerne aufgeregt sind.
Wobei, hier draußen am Land erlebe ich die Angehörigen meist
dergestalt, dass sie erstmal die Sauerei in Flur und Bad
aufwischen, bevor sie den Notruf tätigen, weil es ihnen
peinlich ist. Dass damit natürlich eine Beurteilung des
Blutverlustes nicht gerade einfach gemacht wird, ist eine
andere Sache. Aber letztendloch zählen nur die Kreislauf-
parameter.
"Lebensbedrohliche Nachblutung"? Ja, von mir aus. Aber die
stoppt man eben im OP. Die First Responder können das nicht,
solange der Patient nicht direkt kollabiert, warten die auch
nur auf den Transport. Der Rettungsdienst kann in diesem Fall
auch nur einen sachgerechten Transport durchführen, ein
Notarzt mag zwar dann gut sein, wenn der Patient kollabiert,
aber das war ja während des Transportes nicht der Fall und
aufgrund der Abwägung Kreislaufparameter vs. Transportzeit
nicht abzusehen - sonst hätten sich die Rettungsassistenten
das ggf. anders überlegt. Aber so wie das aussieht, war die
präklinische Versorgung adäquat: keine Hektik, zügiger aber
schondender Transport, Lagerung aufrecht/sitzend, Blutabspucken
ermöglichen. Lehrbuchmäßig.
Tja, keine Medizinzauberei für den "technischen Leiter einer
Privatklinik", sondern sauberes Rettungshandwerk, genannt
adäquate Basismaßnahmen. Schön, dass es Rettungsassistenten
gibt, die das beherrschen und sich nicht hinter Blaulicht-,
Infusions-, Notarzt-, Hubschrauber-, Kindernotarzt-Hekitk
verstecken müssen.
| Insgesamt müsse man sagen, dass Nachblutungen nach einer
| Mandeloperation zu den häufigsten Komplikationen gehörten. Diese
| können tödlich enden, wenn kompetente Hilfe ausbleibt.
Beides stimmt. In vorliegendem Fall hat es nicht tödlich geendet,
eben weil kompetente Hilfe nicht ausblieb:
1. Notruf mit Abfrage der Schilderung eines Laien, der natürlich
vom Blut aus dem Mund des eigenen Kindes mehr beeindruckt
ist, als von der Tatsache, dass dieses Kind aufrecht rumläuft,
ansprechbar ist und adäquat reagiert.
2. Entscheidung des Disponenten gem. Indikationskatalog.
3. Vorhandenseins eines freiwilligen First-Responder-Dienstes, um
den sich vermutlich sonst keiner schert, der aber immer wieder
Leben rettet.
4. Richtige Entscheidung der First Responder: nicht viel machen,
außer den Buben überwachen. Auf den Transport warten.
5. Rettungsdienst trifft ein. Dauert halt ein bisschen, siehe
Bayerisches Rettungsdienstgesetz und diverse Struktur-
reformen.
6. "Die Rettungsassistenten reagierten ruhig" sagt eigentlich
alles. War halt keine Fernsehkamera mit hektischen Regieanweisungen
dabei. Klar, vordringlich ist der zügige aber schonenden Transport
in eine weiterversorgende Einrichtung, genannt Klinik.
7. Zügiger aber schonenden Transport in eine weiterversorgende
Einrichtung, genannt Klinik.
8. Eintreffen in der Klinik, Übergabe.
9. Wartezeit? Es war aber immerhin eine Ärztin und eine Kranken-
schwester da, also saß man nun nicht gerade unversorgt im
Wartezimmer...
10. Entscheidung zur OP, Durchführung. Wie ich die Aussage des
aus dem OP stürmenden Arztes bewerten soll, weiss ich nicht.
Das müsste man den fragen.
11. Weiterverlegung in eine geeignete Kinderklinik zur weiteren
Betreuung.
| Georg Rötzer, der Bereichsleiter Rettungs- und mobile Dienste beim
| BRK Starnberg, betonte am Mittwoch erneut, eine akute Lebensgefahr
| habe zum Zeitpunkt des Transports nicht bestanden.
| Der Bub habe nicht einmal mehr geblutet, auch sein Blutdruck sei in
| Ordnung gewesen. Die starken Blutungen hätten erst im Starnberger
| Klinikum wieder eingesetzt.
Was sich aus dem Notfallprotokoll (eine rechtliche Urkunde!) auch
herauslesen lässt. Selbst wenn das hier im so dargestellten
Gesamtzusammenhang so ein bisschen nach Vertuschungsversuch
riecht/riechen soll, immerhin hat die SZ auch die Gegenposition
gebracht. Ich möchte nicht wissen, was die B*LD daraus gemacht hätte.
Servus,
Bernhard