Post by Markus MachnerPost by Erich KirchmayerIst hier in Bayern verhältnismässig einfach. Zuständig ist "an
vorderster Front" die Polizei. Wenn die eine Einweisung anordnet, dann
wird sie vom RD-Personal auch ausgeführt.
Woher weis die Polizei, daß jemand psychisch erkrankt ist?
Sie beurteilt die Fremd- oder Selbstgefährdung aufgrund der
Lage oder Zeugenberichten (auch Berichte des RD) oder
aufgrund einer Ärztlichen Untersuchung (Notarzt).
Post by Markus MachnerDie
Einweisungen, die ich als Ersthelfer mitbekommen habe, waren ein
riesiges HickHack, wo sich keiner auskannte.
Ja. Ist schwierig und das ist gut so.
Post by Markus MachnerRTW-Team erkennt auf psychisch erkrankt, darf aber nichts tun. Polizei
nachgefordert, die will nichts tun, da sie sich selbst als nicht
Kompetent einschätzt. NA nachgefordert. NA meint, er sei kein Psychater.
Die Polizei drückt sich oft davor, weil eine Einweisung halt
ewig Papierkram bedeutet und sie auch nicht überreagieren
will. Wie gesagt, gut so.
Wenn sich der Notarzt derart aus der Affäre zieht, ist das
schade aber auch verständlich.
Wenn die Sache klar ist (eben Selbst- oder Fremdgefährdung),
dann geht das meist aber Zackzack und ohne Probleme. Bei
Fremdgefährdung ist das wohl eingängig, als Selbstgefährdung
gilt schon eine kleine Äusserung in Richtung "Ich bring' mich
um".
Post by Markus MachnerNach ziemlich viel Telefoniererei kommt der Patient in den RTW, und alle
drei fahren ins LK, um dort einen Psychater zu konsultieren.
Ja, im Zweifelsfall sicher gut so. Das ist aber prinzipiell
schon eine Zwangseinweisung. Bei vielen psychiatrischen Häusern
ist das ausserhalb der üblichen Dienstzeiten eine nervige
Sache, die haben es nicht so mit Notfällen. Da wird oft mit
Zuständigkeiten rumgeschachert [1]. Die haben auch oft Angst,
dass sie einen Patienten mit Zusatzverletzungen, akutem
Drogenintox oder schwerer Alkoholisierung bekommen, das können
solche Häuser meist nicht managen (fehlende Überwachung und
Interventionsmöglichkeit).
Wenn der Psychiater dort erkennt, dass der Patient offensichtlich
nicht wesentlich verrückter als die beteiligten Einsatzkräfte
sind, kann er den Patient ja auch gleich wieder "rauslassen"
(solange polizeilich nichts vorliegt, aber dann wäre das eh'
erstmal was für eine forensische Psychiatrie mit entsprechenden
Sicherheitseinrichtungen).
Post by Markus MachnerDas rechtliche Konstrukt war wohl, daß die Polizisten den Patienten
festgenommen haben, weil er sich und andere gefährdet und in die Obhut
des NA gestellt haben.
Nein, die Festnahme ist die Zwangseinweisung. Richtig fest-
genommen wird der Patient nur, wenn eine Straftat vorliegt
(oder zB. ein offener Haftbefehl).
Servus,
Bernhard
[1] OK, passende Story, aber dann gehen wir ins Bett, ja?
<story>
Alarm für uns auf dem KTW, weil kein RTW mehr da. Eine halbe
Stunde vor Schichtende. "Erkrankt oder verletzt" in einem
Kuhdorf. Bei Ankunft liegt ein Mann, offensichtlich bewusstlos
mitten in einem knöcheltiefen Odel-See (bay., "Jauche-See").
NA wird nachgefordert, der See betreten (wir haben Sicherheits-
stiefel an). Von der anwesenden Polizei (ausserhalb des Sees
stehend) erfahren wir die Vorgeschichte:
- angetrunkener Mann randaliert in Nahverkehrsbus
- wird vom Busfahrer in diesem Kuhdorf rausgeschmissen
- entert daraufhin einen nahegelegenen Misthaufen
- will sich vor Kindern exhibitionistisch entblößen
(oder einfach nur pinkeln)
- beim Aufmachen der Hose stürzt er rücklings vom
Misthaufen und bleibt in der stinkenden Brühe daneben
auf dem Rücken liegen.
Der Patient ist mittlerweile aufgewacht, weigert sich aber,
mitzukommen - er will liegenbleiben. Und tritt gleich wieder
in einen unaufweckbaren Zustand über. Wir schaffen es, ihn
bis fast an den Rand des Sees zu tragen (Gummihandschuhe,
Arme weit von uns gestreckt), als er wieder aufwacht und uns
abwehrt. Wir bitten die Polizisten, einzugreifen. Diese
betreten den See (keine Sicherheitsstiefel, nur Halbschuhe -
die Sosse läuft da hinein). Kurz bevor die Polizisten bei
uns ankommen, will sich der Patient unserem "stützenden
Griff" entwinden, stolpert dabei rückwärts (gut, wir haben
die Richtung schon etwas beeinflusst, die Energie kam aber
von ihm) und fällt exakt auf die dort stehende Trage. Und
pennt prompt wieder ein.
Eine nähere Untersuchung ergibt, dass ihm vermutlich nichts
weiteres fehlt und er einen sauberen Alkoholrausch hat.
Der NA hängt eine Glukose an, der Patient wird in den
KTW verladen und transportiert. Bis jetzt noch keine
Festnahme oä.
Während der Fahrt wird der Patient wieder wach und
greift plötzlich meinen Kollegen an, haut ihm die
Brille von der Nase und stößt wüste Beschimpfungen aus.
Ich bleibe stehen und fordere erneut die Polizei an.
Die kommt recht zügig und macht kurzen Prozess: der
Patient wird auf der Trage gefesselt (Rückenlage, beide
Handgelenke an die kopfseitigen Holme mit Handschellen
fixiert, die Knöchel unten an die Trage gefesselt).
Mit Polizeibegleitung geht's weiter ins KHS.
Dort versucht der Patient erfolgreich sich die
Infusion zu ziehen und einen Polizisten anzuspucken.
Er macht sich damit keine Freunde.
Es erfolgt eine Einweisung in die für unseren Landkreis
zuständige Psychiatrie durch die Polizei, nachdem das
KHS keine Verletzungen festgestellt hat. Ein Transport
mit KTW wird aufgrund der erheblichen Alkoholisierung
angewiesen.
Endlich treffen wir im Konvoi im BKH ein - das liegt
im an unseren Landkreis im Osten angrenzenden Städtchen.
Dort wird der Patient vom Psychiater begutachtet und
für Aufnahmewürdig befunden. Man darf bei der nun folgenden
Szene nicht vergessen, dass sowohl der Patient als auch wir
und die Polizisten wie die Senkgrube eines mittelgrossen
Bauernhofes riechen.
Denn genau in dem Moment, wo der Arzt die Aufnahme besiegeln
will, stürzt ein übereifriger Jung-Polizist herein und überbringt
freudestrahlend das Ergebnis der bisherigen Ermittlungen:
"Der kommt aus München!". Der Aufnahmearzt hebt seinen
Kugelschreiber gerade rechtzeitig wieder hoch und meint
grinsend: "Dann ist das nicht unser Einzugsbereich,
Aufnahme abgelehnt!".
Der Jung-Polizist wird virtuell erschossen, sowohl durch seine
Kollegen als auch durch uns. Schon erwähnt, dass es bereits
lange nach unserem Dienstende war?
Also wieder eingepackt, die Karre war ja sowieso versaut,
und ab, quer durch den Landkreis. Das jetzt zuständige
Haus liegt genau am anderen Ende des Landkreises, im Westen.
Irgendwann kommen wir auch dort an, die Aufnahme geht relativ
fix, der mittlerweile wieder randalierende Patient wird
huschhusch übergeben und wir machen uns endlich vom Acker.
Schichtende Soll = 19:00 Uhr, Ist = 23:59 Uhr (inkl. Fahrzeug-
und Selbstreinigung). Der Geruch war noch tagelang in der
Nase.
</story>
--
Bernhard Nowotny
85625 Glonn, Germany (PGP ID: 0x17B6F58C DSS/DH)
"Life was simple before World War II. After that, we had systems."
-- Rear Admiral Grace Murray Hopper